• Die Tyrannei der Toleranz

„Der Begriff Toleranz ist abgeleitet vom lateinischen Verb tolerare, was erdulden, ertragen, zulassen bedeutet, wird im sozialen, kulturellen und religiösen Kontext gebraucht“, so die Definition. Weiter: Das, was geduldet werden soll, muss ein Übel sein (Positives kann man nicht tolerieren) und die Hinnahme des Übels muss freiwillig sein.

«Toleranz ist die Tugend eines Menschen ohne Überzeugung»
– Clive Staples Lewis, bekannt vor allem als Autor „Die Chroniken von Narnia“

Gerade in der heutigen Welt, nach den Erfahrungen der verschiedenen Totalitarismen des 20. Jahrhunderts ist Toleranz, Verständnis für Anderes besonders gefragt, ja, sie wird erwartet, um nicht zu sagen, verlangt. 

Ist es wirklich so, dass alles toleriert, geduldet werden soll? Ist tolerant sein immer gut und richtig?

Die Antwort lautet nein, zumindest, wenn wir wollen, dass Toleranz einen hohen Wert in der Gesellschft behält, dass sie als Tugend bezeichnet werden kann. 

Was ist eigentlich Toleranz, ein Wort in aller Munde? Vielleicht lohnt es sich, zu überlegen, in welcher Beziehung diese zur Freiheit steht? Freiheit des einen, toleriert von einem anderen. Fangen wir mit der Freiheit an: Jeder Mensch hat absolute Freiheit im Bereich des Denkens, das scheint außer Diskussion zu stehen. Das Fühlen oder anders gesagt, das Gefühlsleben des Menschen ist nicht mehr ganz frei. Eine wesentliche Einschränkung ist hier das menschliche Temperament, wenn wir diesen Begriff im Sinne der griechischen Philosophen verstehen. Es liegt auf der Hand, dass die Gefühle eines Phlegmatikers anders sind als die eines Melancholikers. Das bedeutet, dass das einzige oder zumindest das wichtigste Regulativ der menschlichen Gefühlsregungen im Menschen selbst liegt. Noch anders verhält es sich mit dem bewussten Handeln der Menschen.

Es versteht sich von selbst, dass kein Mensch das tun darf, worauf er gerade Lust hat, wenn dieses Tun andere Menschen stört, schädigt, beeinträchtigt. Das Leben in einer Gemeinschaft limitiert also die Freiheit des Einzelnen. Genau gesagt sind es die Normen oder politische Vorgaben, die das Verhalten in der Gemeinschaft oder Gesellschaft regeln. Ob es der Dekalog ist, ein Gesetzbuch oder ungeschriebene Verhaltensregeln oder Vereinbarungen – sie müssen  beachtet und befolgt werden. Die Verstöße gegen sie werden missbilligt oder verfolgt und bestraft. 

Es gibt aber einen Übergang, eine Grauzone zwischen dem mit den Vorgaben konformen Verhalten und einem, das sich den gesellschaftlichen Regeln und Vereinbarungen widersetzt. Da ist oft noch lange keine Rede vom strafbaren Verhalten, jedoch der Respekt für die verpflichtenden Normen ist nicht mehr vorhanden, die Normen sind verletzt. 

Die Verhaltensweisen, die in diese Grauzone fallen, können toleriert werden – oder auch nicht. Tolerieren bedeutet also gewähren lassen, was man verhindern oder bekämpfen könnte, tolerieren bedeutet, auf einen Teil der Macht, der Zwangsmittel oder des Protestes zu verzichten. Dieses Ertragen, Erdulden ist aber nur insofern tugendhaft, wenn man selbst ein gewisses Opfer trägt:  Wenn man das eigene Wohl überwindet. Der Sachverhalt ändert sich, wenn es um das Wohl der Dritten geht, besonders der Schwächeren. Wer hier die Augen abwendet, ob aus Angst, ob aus Bequemlichkeit, der macht sich durch Unterlassung zum Komplizen. Spätestens bei dieser Wortfolge merkt der Leser, wo die Grenzen der Toleranz liegen.

Die Notwendigkeit das Tolerierbare von dem Nichttolerierbaren zu unterscheiden betrifft natürlich nicht nur die Gemeinschaft oder die Gesellschft, sie betrifft insbesondere das politische Leben, den Staat. Wenn eine Demokratie gut funktioniert, ist es sehr wohl möglich, allerlei kontroverse Meinungen, Publikationen, Demonstrationen, Absichtserklärungen, die ohnehin nicht realisiert werden können, zu tolerieren. Sind die Institutionen des Staates geschwächt, drohen Unruhen, dann ist es nötig, die Umstürzler zu verhindern. Vladimir Jankélévitch, der französische Philosoph, Professor der Sorbonne nennt dieses notwendige von-Fall-zu-Fall-Abwägen »die Kasuistik der Toleranz«. Karl Popper schreibt dazu: «So lange wir [ihnen] durch rationale Argumente beikommen können und solange wir sie durch öffentliche Meinung in Schranken halten können, wäre Unterdrückung sicher höchst unvernünftig. Aber wir sollen für uns das Recht in Anspruch nehmen, […] wenn nötig, mit Gewalt zu unterdrücken». Denn Toleranz von Seiten des Staates darf den Staat nicht schwächen, sondern sie muss die Kraft bleiben, die weiteres Bestehen der Toleranz selbst ermöglicht. 

Mit Toleranz werden bisweilen Bequemlichkeit oder auch Angst verwechselt. Aus Angst und Bequemlichkeit werden  bestimmte Handlungen oder Verhaltensweisen Einzelner oder ganzer Gruppen, die zum Unheil und Leid Anderer führen – ganz besonders in einem totalitären System – durch die Gesellschaft geduldet oder entschuldigt. Ein weiterer Grund für falsche Toleranz ist mangelnde Erkenntnis: «Der ideale Untertan des totalitären Regimes, bemerkt Hannah Arendt, sei weder der überzeugte Nazi noch der überzeugte Kommunist, sondern der Mensch, für den der Unterschied zwischen Tatsache und Fiktion, zwischen Wahr und Falsch verschwunden sei», – diesen Satz zitiere ich nach André Comte-Sponville. Das betrifft natürlich auch Leben in einem demokratischen System. Wenn die Urteilsfähigkeit in diesem Sinne abhanden gekommen ist, oder nie vorhanden gewesen ist, ist der Weg zu einer gleichgültigen Haltung gegenüber Übel in der Gesellschaft offen. 

Wie wir sehen, ist der Übergang von Toleranz im Sinne „alles ist relativ“, „alles ist gleich“ zu der Toleranz, die wir noch als Tugend bezeichnen können sehr schmal. Die Unterscheidungsfähigkeit in diesem Fall setzt Wachheit, Bewusstheit und Erkenntnisfähigkeit der Menschen voraus. 

Es ist nicht zu übersehen, dass Toleranz, sollte sie überhaupt eine Tugend sein, eine Sekundärtugend ist. Weil sie nur dann in zwischenmenschlichen Beziehungen vorkommt, wo ein widerwilliges Ertragen ist und (noch) keine Liebe. In dem Sinne, auch wenn der Zustand noch lange anhält – ist sie nur eine Zwischenlösung. 

* * *

André Comte-Sponville, «Ermutigung zum unzeitgemäßen Leben, Ein kleines Brevier der Tugenden und Werte», Rowohlt, 1996

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• „Gott hat Humor…

… denn er hat den Menschen geschaffen.“Gilbert Keith Chesterton

Weltenhumor, ein Fragment der Skulptur „Menschheitsrepräsentant“ von Rudolf Steiner, Goetheanum, Dornach

Mit diesem Text werde ich hier eine Serie beginnen: Ich möchte über menschliche Tugenden schreiben. Allein das Wort ist für den heutigen Leser beinah vergessen, seine Konnotationen scheinen nicht mehr wichtig, nicht mehr beachtenswert zu sein. Gar zu ernsthaft, nicht mehr modern, nicht zeitgemäß, ja lebensfern oder realitätsfern. Ich weiss um diese ernsthaften Schwierigkeiten, deshalb werde ich mit einer jedem wohlbekannten und in unserem täglichen Leben sehr geschätzten, sogar unerlässlichen Tugend anfangen, dem Humor.

Humor soll eine Tugend sein?

Sigmund Freud schreibt 1927 über Humor: „… Der Humor hat nicht nur etwas Befreiendes wie der Witz und die Komik, sondern auch etwas Großartiges und Erhebendes, […]. Das Großartige liegt offenbar […] in der siegreich behaupteten Unverletzlichkeit des Ichs. Das Ich verweigert es, sich durch die Veranlassungen aus der Realität kränken, zum Leiden nötigen zu lassen, es beharrt dabei, dass ihm die Traumen der Außenwelt nicht nahegehen können, ja es zeigt, dass sie ihm nur Anlässe zu Lustgewinn sind. …“

 Humor steht zwischen Ernsthaftigkeit und Ironie oder Spott in allen ihren Schattierungen: Ob diese gegen andere gerichtet sind, gegen sich selbst, ob wir von Ironie des Schicksals sprechen, die anstelle der Worte eintritt, wobei hier eher Trolle ihre Finger im Spiel haben müssen, als es der gütige personifizierte Humor selbst handelt. Es lohnt sich, Humor und Ironie zu vergleichen, denn oft werden diese beiden menschlichen Eigenschaften verwechselt. 

Ironie ist sicher keine Tugend, sondern eine Waffe, die gegen einen anderen gerichtet ist, wenn auch im Fall der Selbstironie sie sich gegen einen selbst richtet. Sie ist nie großzügig, sie ist höhnisch, boshaft, demütigend, verletzend, vernichtend. Sie bringt die Schwächen des anderen oder eigene zum Vorschein, entblößt die Achillesferse der Belächelten und lässt die Getroffenen nach dem Wortgefecht auf dem Kampffeld vernichtet. Ironie ist oberflächlich, sie beschäftigt sich nicht mit der Person, sie will nur das eigene Ego machtvoller erscheinen lassen; sie steigt niemals in die Tiefe der Dinge. Ironie kann lustig sein, aber auch wenn sie so ist, sie ist niemals humorvoll. 

Humor dagegen ist die Kraft, die eigene und der anderen Menschen Schwächen herzenswarm nimmt. Humor stellt den Lachenden und den Belächelten auf eine Ebene. Deshalb gibt es in ihm keinen Hochmut. Ironie ist hochmütig, Humor ist demütig. Weil Humor im Gegensatz zur Ironie keine Waffe ist, ist er reflexiv, muss eigentlich so sein, denn in das Lachen oder das bittere Lachen schließt er sich selbst ein und motiviert zur Nachdenklichkeit. 

Ein und derselbe Scherz kann Ironie oder Humor sein. Bei einem, der auch sich selbst den anderen mit der Speerspitze des scherzhaften Satzes ausliefert, ist dieser Scherz humorvoll, bei einem Menschen, der sich ausnimmt, ist es nur Ironie. Diese beiden Erscheinungen lassen sich freilich nicht immer sauber trennen: Sokrates, der große Ironiker, der jegliche Unzulänglichkeit, die sich großtun wollte, verspottete, lachte genauso laut über seine eigenen Schwächen, auch wenn der Anlass dazu Spott vom Aristophanes war.

Humor ist aber nicht nur zum Lachen da. Er ist wahre Hilfe in jeder ernsten Lebenslage. Er verwandelt Traurigkeit in Heiterkeit, lässt in dunkler Verzweiflung Lichtfunken erkennen. Aber vor allem entschärft Humor den Hass, die Wut, die Rachsucht, den Fanatismus. Humor befreit den Menschen von seinen Illusionen, er wirkt ent-täuschend! Er bringt Ordnung in verwirrte Gedanken, weil in ihm immer die Sympathie, die Liebe spricht. Liebe, die wiederum zum Helfen, zum Handeln ermutigt.

Wie sollte er also keine Tugend sein?

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André Comte-Sponville: „Ermutigung zum unzeitgemäßen Leben, Ein kleines Brevier der Tugenden und Werte“; Rowohlt, 1996

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• Hoffnung ist Leben

Hoffnung gehört mit Liebe und Glauben zu den drei christlichen Tugenden. Wenn auch die Liebe die größte ist, bedingen sie sich gegenseitig. Sie machen die irdische Existenz erträglich, um nicht zu sagen, ohne diese Tugenden ist ein menschliches Leben in Würde gar undenkbar.

Das Wort „hoffen“, verwandt mit (engl.) hope, (mittelniederdl.) hopen „hüpfen“, „vor Erwartung unruhig springen“, bedeutet einen grundlegenden inneren Zustand des Menschen, einen Zustand, der sich unter Umständen handlungsleitend auswirkt, bedeutet aber zugleich eine Erwartungshaltung, dass etwas Wünschenswertes in der Zukunft eintritt. Das alles entnehme ich den Definitionen. Ich möchte heute versuchen, die einzigartige Stellung der Hoffnung in unserem Leben aufzuzeigen.

Hoffnung, auch wenn sie von Sorge und Angst begleitet wird, dass das Erwartete nicht eintritt, charakterisiert eine durch und durch positive Einstellung zum Leben im Allgemeinen und zu der eigenen Existenz im Besonderen. So begleitet die Hoffnung den Menschen im Täglichen, in der Lebensplanung und greift in das Nachtodliche hinein. Nicht umsonst ist Hoffnung eine der drei göttlichen oder christlichen Tugenden; ihre Wirkung reicht weit in die Zukunft hinein, ja, sie erzeugt im gewissen Sinne die Zukunft: So, dass wir uns diese vorstellen können, ein Bild vor ihr erschaffen können. Hoffnungslosigkeit dagegen schneidet den Menschen vom morgigen Tag ab, raubt ihm das Licht, folglich lässt sie das göttliche Element aus dem Leben verschwinden. In diesem Sinne ist die Hoffnung das Bindeglied zwischen dem irdischen Leben und der geistigen Welt.

Interessant ist der Bezug, auf den Kant in der Kritik der praktischen Vernunftaufmerksam macht, dass nämlich die Würde des Menschen unmittelbar von der Anwesenheit der Hoffnung, der hoffnungsvollen Erwartung auf die gewünschte Entwicklung abhängt, der der Mensch entweder selbst den Anschub leistet oder sich gänzlich auf ein günstiges Schicksal verlässt. Das Gleiche gilt auch für den Glauben und die Liebe. Kurz gesagt: Hoffnung, Liebe und Glaube sind die drei Aspekte des Menschseins. Sie generieren Würde, Humanität, Großzügigkeit, Dankbarkeit, die Kraft zu verzeihen und vieles mehr.

Der Sinn des Lebens besteht darin, zu lieben. Zu lieben in allen Facetten dieser Seelenregung. Unsere Hoffnung und unser Glaube sind darauf gerichtet, unser Herz an immer mehr Menschen zu vergeben. Wir lieben diese Menschen und durch diese Menschen hindurch lieben wir Gott. In diesem kurzen Satz verbirgt sich eine tiefe Wahrheit. Mehr darüber werde ich in einem der nächsten Einträge schreiben, den ich vor allem der Liebe widmen werde. Heute möchte ich nur andeuten, dass unsere Hoffnung auf das allerwichtigste auf der Welt, die Liebe, gerichtet ist. Und mit unserer Hoffnung auch der Glaube.

So wie die Liebe für uns die größte Freude bedeutet, so ist die Hoffnung eine Kraft, die alle gewesenen Enttäuschungen oder Verfehlungen immer wieder aufs Neue beseitigt. Kurzum, wir hoffen unaufhörlich auf die Erfüllung der Liebe: Alles ist möglich, die Aussichten sind da, das Glück ist greifbar – das ist die Hoffnung. Glaube, Liebe, Hoffnung – sie sind somit also der Antrieb, der uns befähigt, zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen, sie ermutigen uns, das eigene Leben und das Leben der Gemeinschaft zu beeinflussen und zu gestalten. Die Liebe reicht aber weiter: Sie erstreckt sich auf die Umwelt, in der wir leben, auf die Natur. So lieben wir im Menschen das Ebenbild Gottes und in der Natur das göttliche Prinzip. Hier geht es aber ganz und gar nicht ums Romantisieren oder darum, nach irgendwelchen idealisierten Zuständen zu suchen. Alles Interesse für die Natur ist auf Respekt für die Naturgesetze gegründet. Im Menschen sucht die Liebe das Wahre in ihm, seinen inneren Kern.

Der mit der Liebe Beschenkte kann sich aber aufgrund seiner eigenen Freiheit, gegen diese Liebe entscheiden, gegen den Liebenden, er kann Hoffnungen des Anderen zerstören. Deshalb bleibt die Hoffnung auf irdisches Glück vage und brüchig. Diese irdische Hoffnung begleitet die Menschen jedoch unaufhörlich, ist notwendig wie Luft zum Atmen. Sie kann aber letztendlich nie erfüllt werden, denn auf dieser Welt kann es kein endgültiges Reich der Glückseligkeit – des Guten also – geben. Aus zweierlei Gründen: Weil jeder Mensch die Freiheit besitzt, andere Entscheidung zu treffen und das so erhoffte Paradies zu verunmöglichen und weil die Erfüllung der Hoffnung deren eigentliches Ende bedeuten würde. Unser Leben, wie wir es kennen, ist grundsätzlich nicht auf einen Zustand der Glückseligkeit ausgerichtet. Wer Glück auf Erden verspricht, macht eine falsche Verheißung. Folglich kann das Leben nicht ohne Enttäuschung, Leid, Krankheit und Schmerz sein. Das Bemühen, die Hoffnung zu erfüllen, bedeutet, dieses Leid und diesen Schmerz so gut wie möglich zu lindern. Diese Hoffnung soll jedoch nicht die einzige bleiben. Bleibt sie es, wird das Leben auf Dauer hoffnungslos und leer, voller Enttäuschungen und nicht erfüllter Erwartungen.

Die christliche Hoffnung besteht darin, über das Leben und über den Tod hinaus Liebe und Leben, das wahre Leben, zu erwarten. Hier ist es wichtig zu unterstreichen, dass diese Hoffnung niemanden ausschließt. Sie wurde in früheren Zeiten als Hoffnung auf die Erlösung verstanden. Heute dagegen glauben und hoffen die Menschen kaum an die Erlösungskraft der Liebe Christi; der heutige Mensch erwartet die Erlösung im Irdischen – von der Wissenschaft, vom Fortschritt. Eine besondere Hoffnung, die auf den Fortschritt durch Revolutionen, sie hat sich in der Vergangenheit zerschlagen, sie ist definitiv enttäuscht worden. Gut, dass die Welt diese Erfahrung hinter sich hat, schade, dass so viele Menschen ihre Opfer geworden sind.

Nur Liebe kann erlösen, die unbedingte Liebe: „… Weder Tod noch Leben, … weder Gegenwärtiges und Zukünftiges, weder Gewalten … noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus ist …“ (Röm 8, 38-39). „Wenn es diese unbedingte Liebe gibt mit ihrer unbedingten Gewissheit, dann – erst dann – ist der Mensch ‚erlöst‘, was immer ihm auch in einzelnen zustoßen mag“, so Benedikt XVI. in seiner zweiten und bis heute letzten Enzyklika Spe salvi.

So bleibt die Liebe unsere Hoffnung.

Glaube, Liebe, Hoffnung sind die sichtbaren Zeichen der tiefen Verbindung zwischen dem Menschen und der göttlichen Welt.

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• Dankbarkeit ist Gedächtnis

Echo, die Nymphe des Berges Helikon, wollte als Dienerin der Hera ihre Herrin mit endlosem Geschwätz unterhalten, während Zeus mit den anderen Nymphen tändelte. Als die Göttin diese List bemerkte, bestrafte sie sie aus Ärger mit einer seltsamen Beschränkung der Sprache: Echo konnte kein Gespräch beginnen, sondern nur die Worte anderer wiederholen.

Verlacht, verließ sie die Welt der Menschen, um sich mit der Natur zu verbinden. Sie lebte seitdem in den Bergen, auf den Lichtungen des Waldes und an den Ufern der Flüsse. Eine unglückliche Nymphe, die jedoch gerade durch ihr Unglück an Anmut gewann und seitdem nicht nur in der Natur lebt: Sie wird von den Dichtern bewundert, wir begegnen ihr täglich in unserer Sprache – als Metapher.

„Die Dankbarkeit ist ein Geheimnis, nicht durch das Vergnügen, das sie beschert, sondern durch das Hindernis, das man durch sie überwindet.“
„Ermutigung zum unzeitgemäßen Leben“, André Comte-Sponville

Dankbarkeit ist ein Echo der Freude, sagt ein Dichter. Diese Tugend ist aber kein bloßes Echo, sie ist kein Automatismus. Sie ist die Antwort, die aus dem Herzen kommt, sie ist das Teilen der Freude und somit ist sie zugleich das Schenken. Ein Schenken der Freude, die man selbst empfindet. Geben und danken ist aber kein Tauschgeschäft, denn Dankbarkeit besitzt diese Fähigkeit, die empfundene Freude auf eine andere Ebene zu heben und somit sie in die Kraft zu verwandeln, weiter das Gute zu tun. Dankbarkeit ist affektiv, Dank ist aktiv, es ist eine Tat, sie ist kommunikativ. Vom Mensch zum Mensch. Dem Akt der Dankbarkeit geht notwendig jene Erkenntnis voraus, dass der Wohltäter die Ursache für unsere Freude ist.Es gibt bisweilen Situationen, dass diese hier gemeinte Freude nicht entstehen kann, denn an ihrer Stelle machen sich die Gewissheit und die Überzeugung breit, dass das Empfangen einer Gunst oder die Tatsache, beschenkt geworden zu sein, Selbstverständlichkeiten sind oder dass die Anderen stets darum bemüht sein müssen, einem irgendwelche Freuden zu bereiten oder gute Taten zu erweisen. Daraus kann freilich keine Dankbarkeit erwachsen, weil es auch keine echte Freude gibt, die diese generieren könnte. Der Egoist verschluckt die Freude, wie ein schwarzes Loch das Licht.

Wenn Hoffnung von Angst und Unsicherheit begleitet wird, so erwächst die  Dankbarkeit nur aus Freude. Sie ist um so größer je mächtiger die Unsicherheit war. Um so leichter müsste sie auch einen adäquaten Ausdruck finden. Es ist nicht immer der Fall. Wenn Dankbarkeit sich nicht als Dank ausdrücken kann, hat das verschiedene Gründe. Der wichtigste Grund ist, dass in der Dankbarkeit ein Hauch Demut liegt. Diese erschwert so oft oder macht gar unmöglich den Akt des Dankens. Unnötig, denn es gibt nicht nur die Demut, die zugleich Erniedrigung ist; Demut ist gerade diese Tugend, die – paradox – die Unterwürfigkeit von der Souveränität scheidet! Dankbarkeit gepaart mit Unterwürfigkeit wäre eine schäbige Dankbarkeit, sie wäre ein verkappter Egoismus, verkapptes Erwarten weiterer Gunst: Man bedanke sich, um noch mehr bekommen! «Man sagt „Danke!“ und meint „Bitte!“ Das ist keine Dankbarkeit, das ist Schmeichelei, Kriecherei, Lüge. Das ist keine Tugend, sondern ein Laster», so Nicolas-Sébastien de Chamfort.

Dankbarkeit ist aber nicht bedingungslos: Sie darf den Menschen nicht auf Abwege führen! Und gerade das kann passieren, wenn man aus Dankbarkeit zum Beispiel falsches Zeugnis abgibt oder wenn sie zu Bestechlichkeit oder Gefälligkeit wird. Der Beschenkte ist nicht verpflichtet dazu, aus Dank zu handeln, wenn das gegen seine grundlegenden Prinzipien wäre.

Das Wechselspiel der Gefühle im Bezug auf Wohltat versus Dank kann jedoch tatsächlich dazu führen, dass ein Gefühl der Unterordnung entsteht, wenn der Beschenkte die Verpflichtung zur Dankbarkeit durch Annahme der Wohltat als Angriff auf seine Selbstachtung empfindet. Diese Einstellung zeugt eindeutig von Hochmut, auch wenn der Mensch meint, er sei nur zu stolz, um etwas anzunehmen. So wie der Hochmut die Fähigkeit zu nehmen zunichte macht, so hindert er den Menschen auch daran, an andere zu denken, für sie er etwas Gutes zu tun, das heißt, etwas zu geben.

Wenn es dem Menschen gelingt, das Gefühl der Dankbarkeit in seinem Inneren zu empfinden, es sich bewusst zu machen, daraus in weiterer Konsequenz auf der Ebene der Affekte die Sympathie oder Liebe zum Wohltäter zu entzünden und kraft der Gefühle jeglichen Stolz oder Beschämung wegen der Wohltat zu überwinden – dann hat er das Geheimnis der Dankbarkeit entschlüsselt!

Das Wissen um das Wesen dieser Tugend erweckt in uns – das ist die große Hoffnung – den Willen und gibt uns die Kraft, selbst nach Gelegenheiten, Gutes zu tun, Ausschau zu halten. Das Erinnern der erfahrenen Wohltat verwandelt sich in uns mit der Zeit in eine heilende Kraft, in einen immerwährenden Antrieb, schlechte Gefühle wie Zorn oder Neid in gute Emotionen zu erlösen. „Die dankbaren Menschen geben den anderen die Kraft zum Guten“, sagt Albert Schweitzer.

„Da Dankbarkeit nach meinem Dafürhalten die löblichste aller Tugenden ist, und das Gegenteil zu tadeln, habe ich, der nicht undankbar erscheinen möchte, mir vorgenommen, jetzt, wo ich mein Herz als frei betrachten kann, in jenem geringen Ausmaße, als ich es vermag, alles Empfangene zu vergelten“, so Giovanni Boccaccio im Vorwort zu „Decamerone“.

Es gibt weiter die Dankbarkeit dem Schöpfer gegenüber. Denn er ist die Ursache unserer Existenz, unseres Geschicks und jeder uns erwiesenen Gnade. Auch wenn das alles ausschließlich über andere Menschen den Weg zu uns finden kann! Denn Gott und seine Engel können nicht als Gespenster unter uns auf der Erde wandeln, um uns ihre Gunst zu erweisen. Sie tun es durch andere Menschen – und das ist das Schönste daran: Tief im Willen eines Menschen ist die Liebe Gottes zu uns verborgen. Wie soll man da nicht glücklich und dankbar sein?

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