• Die heiligen zwölf Nächte

Weihnachten ist in der christlichen Tradition zweifellos das wichtigste Fest im Jahreslauf. In unserer Epoche, in einer Zeit des alles beherrschenden Kommerzes werden die letzten Wochen vor dem Fest nicht der seelischen Vorbereitung auf Jesu Geburt gewidmet, sondern den ausgedehnten Einkäufen und im Sinne der Vorwegnahme der Freude, …

„Ein Traumgesicht aber gab ihnen die Weisung, nicht zu Herodes zurückzukehren …“ Mt 2,12

Engel des Erwachens

… die eigentlich erst nach der Heiligen Nacht aufkommen sollte, wird Weihnachten schon in der Adventszeit gefeiert. Und wenn der Heiligabend vergangen ist, ist die Anstrengung der unzähligen Weihnachtsfeiern überstanden und alles endlich vorbei…

Der Monat Dezember wäre sicher ohne eine aktive und bewusste Erwartung dessen, was da kommen soll, schlecht zu ertragen – oder ohne eine wirkungsvolle Zerstreuung. Im Dezember wird das Sonnenlicht weniger, die Tage kürzer, die Dunkelheit und die langen Nächte scheinen den Raum für finstere Kräfte zu bieten und diese scheinen sich auch darin auszubreiten. Dagegen die Zeit zwischen der Geburt von Jesus in Bethlehem und der Erscheinung Christi am Epiphanias-Fest scheint durch den Kampf des Lichtes gegen die Finsternis geprägt zu sein. Bildlich zeigt sich der Wettstreit in dem Ansinnen des Herodes, der den Drei Weisen aus dem Morgenland bedeutet, diese sollen ihm die Nachricht über das Kind bringen, damit er sich vor ihm verbeugen kann. Was er ganz und gar nicht beabsichtigt, sondern das Kind beseitigen will. Die Kräfte des Lichtes symbolisiert in dieser Geschichte der Engel, der den drei Königen im Schlaf erscheint und „ihnen die Weisung gibt, nicht zum Herodes zurückzukehren“, was sie gleichwohl befolgen. Am Tage der Drei Könige, der zugleich der Tag der Erscheinung Christi ist, ist der Sieg des Lichtes besiegelt. In der sichtbaren Welt äußert er sich dadurch, dass der Tag länger wird und mehr Sonnenlicht die Menschen erreicht. Die Finsternis verliert ihre Macht.

Die Nächte zwischen den zwei Festen, genannt die zwölf heiligen Nächte, sind im Empfinden der meisten Menschen aus dem Jahreslauf herausgehoben. Nicht dass die Zeit zu stehen scheint, vielmehr mutet diese Spanne so an, als ob sich in ihr die nächsten zwölf Monate unseres Lebens spiegeln würden, oder besser gesagt, als ob in diesen Tagen die Keime des Zukünftigen gelegt würden. Ja, das ist eine Zeit voller mystischer und magischer Phänomene, den Menschen schon immer bekannt. Diese Phänomene fanden in früheren Zeiten ihren Niederschlag in Märchen aber auch im Aberglauben.

Hinter dem Märchenhaften können wir jedoch etwas anderes wahrnehmen – wenn wir uns einer anderen Offenbarung öffnen.

Die zwölf besagten Tage und Nächte stehen für die zwölf Monate des Jahres und das bedeutet eigentlich, sie entsprechen den zwölf Tierkreiszeichen, die wiederum eng mit den zwölf Hierarchien zusammenhängen. „In diesem Sinne kann der Weg von Weihnachten bis Epiphanias auch für uns zu einem Aufstieg in das große ‚Land des Universums‘ werden, ‚aus dem der Christus heruntergezogen ist auf die Erde‘, zu einem Weg, der uns im Laufe der zwölf heiligen Nächte durch alle zwölf Regionen der Sternenwelt führt, vom Bereich der Fische, welche den Ursprung des Menschseins bewahren, bis zu der Sphäre des Widder, durch dessen Tor der Christus einst aus der höchsten makrokosmischen, jenseits des Tierkreises liegenden Vatersphäre in unserem Kosmos eintrat, schreibt Sergej Prokofieff* und zitiert selbst dabei Rudolf Steiner.

Die Sternzeichen – jedes mit einer Engelhierarchie verbunden – symbolisieren, unter vielen verschiedenen Gesichtspunkten, jeweils eine menschliche Eigenschaft, besser ausgedrückt eine Entwicklungsstufe, die nicht oder noch nicht den Menschen heutiger Zeit charakterisiert, es aber tun soll und wird, damit er weitere, höhere Stufen der seelischen und geistigen Entwicklung erreichen kann.

Die Frühjahrssonne des Fische-Zeichens kann und wird im Menschen erst dann aufgehen, wenn er seine individuelle Freiheit errungen hat – dies aber geschieht in den Tiefen der Seele in der Zeit der Dunkelheit und in der Begegnung mit deren Kräften, mit dem Bösen also. Wenn man sagt, dass im menschlichen Organismus den Fischen die Füße entsprechen, so hat es einen tiefen Sinn. Die Füße sind das menschliche Körperteil schlechthin. Denn die aufrechte Haltung, charakteristisch für und nur für den Menschen, verdankt er der gewölbten Form des Fusses. Die Füße bestimmen auch das Verhältnis des Menschen zu den Kräften der Erde: Er steht fest auf dem Boden, was von der Schwerkraft ermöglicht wird, seine aufrechte Haltung aber, in Unterscheidung zu den Tieren, lässt ihn sich bildhaft weg von der Erde, hin zum Himmel bewegen. Christus, der sich im menschlichen Körper inkarnieren wird, wird als Menschensohn, als Mensch, auf dieser Erde wandeln. So symbolisieren die Füße die irdische Herkunft des physischen Leibes des Jesus, in den später der Christus einziehen sollte. Das Fischzeichen ist ein bekanntes Symbol der Christen, ein sehr altes Symbol. In diesem Zeichen drückt sich das eigentliche Wesen der Menschen aus.

Das Sternzeichen des Wassermanns symbolisiert den idealen, vergeistigten Menschen. Und das Geheimnis, das der Wassermann in sich birgt, ist die Fähigkeit zu dem erhabenen Geist, der zugleich sein Vorbild ist, hinaufzusehen und somit die Zukunft der Menschheit zu erahnen. Das symbolische Bild des Wassermanns ist das eines Menschen, der Wasser aus einem Krug vergießt. Dieses Wasser, das „Wasser des Lebens“ steht für die lebensspendenden Kräfte, die der Mensch, diese aus der Nähe zu der geistigen Welt schöpfend, weiter gibt.

Die Sphäre des Steinbocks ist mit der Welt der Erzengel verbunden. Steinbock entspricht auf der Erde der dunkelsten Zeit im Jahreslauf. So wird es verständlich, dass das Licht, auch das geistige Licht, uns dann erreichet, wenn wir das Wirken der Erzengel wahrzunehmen in der Lage sind. In die Steinbock-Zeit fallen zwei der wichtigsten christlichen Feste: Geburt Jesu in Bethlehem und Taufe im Jordan, die anders als das Erscheinen Christi oder die Geburt Christi im menschlichen Leib bezeichnet wird. Das Mysterium der Fleischwerdung wird von einem der Erzengel verkündet, von Gabriel (Lu 1,28). Die Taufe im Jordan untersteht ganz der Einwirkung des Geistes und des Feuers (Mt 3,11), der Domäne der Erzengel.

Die Sphäre des Schützen ist mit der Hierarchie der Archai verbunden. Es sind die Kräfte, die den Kampf zwischen dem Menschlichen und dem Tierischen in uns ausfechten. Bildlich kann man es am besten sehen, wenn man die Versuche eines kleinen Kindes beobachtet, wie es sich aufzurichten müht und dabei immer wieder in die horizontale Lage zurückfällt. Diesem Kampf entspricht auch die Imagination des Kentauren. Dank Archai, auch Geister der Persönlichkeit genannt, führt der Kampf stets zum Sieg der vertikalen Kräfte, was weiterhin die Entwicklung des Denkens, der Persönlichkeit – des Ichs – impliziert.

Der Skorpion-Adler steht in besonderer Verbindung mit den Exusiai (Elohim), den Geistern der Form, deren Aufgabe es ist, allem auf der Erde Bestehenden eine abgeschlossene Form zu geben. „Die Kräfte für diese Tätigkeit empfangen sie aus dem Tierkreisbereich des Skorpion-Adlers, die, wenn sie sich ergießen, das Erstarren und Einhalten aller Bewegung hervorrufen (in der äußeren Natur treten diese Kräfte ganz besonders im November hervor)“, so Sergej Prokofieff* weiter. Das Doppelbild des Skorpion-Adlers findet im Menschen seine Entsprechung durch die Fähigkeit als freies Wesen, außer dem Guten, auch das Böse in sich aufzunehmen, was ein tief menschlicher Wesenszug ist. Der trotzdem die Gefahr in sich birgt, eine gewisse Verdunkelung des menschlichen Ich-Bewusstseins zu bewirken.

Die Hierarchie der Dynamis oder der Geister der Bewegung ist mit dem Bereich der Waage verbunden. Diese Geister haben die Fähigkeit und zugleich die Aufgabe, die mannigfaltigen geschlossenen Sonnensysteme im Universum dauernd im Gleichgewicht zueinander und in Bewegung zu halten. Schon die Pythagoreer wussten, dass diese Bewegung, von der hier die Rede ist, als – die von ihnen so genannte – Sphärenmusik, später auch als Sphärenharmonie bezeichnet, in Erscheinung tritt. Obschon die himmlischen Symphonien für Menschen nicht hörbar sind, finden die kosmischen Proportionen Widerhall sowohl in der Wissenschaft von der Natur wie in der Mathematik, die die Grundlage jedweder Naturwissenschaft ist, als auch in der Kunst, insbesondere in der Musik. „Gott hat die Welt geordnet nach Maß, Zahl und Gewicht“ (Weish 11,20). Diese göttliche Ordnung, dem Universum innewohnend, dient auch der menschlichen Erkenntnis; auf ihr basiert weiter die Hermeneutik – die „Philosophie des Verstehens“.

Mit der Hierarchie der Kyriotetes oder der Geister der Weisheit steht die Region der Jungfrau in Verbindung. Das Ur-Bild, die Imagination dazu sind die göttliche Sophia und ihre christliche Entsprechung, die Jungfrau Maria, die ein Symbol für «schenkende Tugend» wurde. Sie konnte es werden, indem sie das Opfer aus dem Miterleben des irdischen Lebens Christi im höchsten Maße verinnerlicht hat.

Die Sterne, die wir als das Zeichen des Löwen kennen, stehen mit der Hierarchie der Throne oder der Geister des Willens in Verbindung. Aus dem Tierkreis des Löwen, der die königliche Würde symbolisiert, geht die innere Kraft des Mutes hervor, die es ermöglicht, „ein rechtes Verhältnis zu den Prüfungen, die uns das Schicksal auferlegt, das heißt, das rechte Verhältnis zu unserem Karma zu gewinnen, es zu tragen und bewusst an ihm arbeiten zu lernen.“*

Die Kräfte der Cherubim, denen die Sphäre des Krebses untersteht, wirken in jedem Entwicklungszyklus des Kosmos, der Natur und des Menschen, hier allen voran in der zyklischen karmischen Entwicklung der Individualitäten. Innerhalb des menschlichen Lebens mutiert diese Kraft in eine innere Fähigkeit, die Welt zu betrachten und sich selbst zu reflektieren, was das allmähliche Verstehen der Wirkung von Christus auf Erden auf der einen Seite und das Akzeptieren des eigenen Schicksals und der eigenen Aufgaben und Ziele auf der anderen Seite bewirkt.

Der Bereich der Zwillinge steht in Beziehung zu der Hierarchie der Seraphim, der Geister der Allliebe. Paradigmatisch für diese höchste Form der Liebe stehen die Dioskuren-Zwillinge, Kastor und Pollux, der eine sterblich, der andere als Zeus‘ Sohn unsterblich. Als Kastor getötet wird, bittet Pollux Zeus um den Tod. Als Belohnung ihrer Bruderliebe versetzt Zeus beide als Sternbild der Zwillinge an den Himmel. Was das für ein Opfer seitens Pollux war, auf seine Unsterblichkeit zu verzichten, versteht jeder, der weiss, dass das höchste Gut in der griechischen Welt das irdische Leben war: „Lieber ein Bettler sein in der Oberwelt, als ein König im Reich der Schatten“ – so tönt uns aus dem Hades die Klage des gefallenen Achilles entgegen.

In der christlichen Zeit ändert sich das Paradigma grundlegend. Das Wesen der Liebe ist jetzt: In einem sozialen System aus einem inneren Interesse aneinander zu handeln und zu wirken.

Die Stier-Sphäre ist mit dem Prinzip des kosmischen Geistes verbunden. Ein Aspekt des Geistes, der Zeitgeist, charakterisiert sich durch zwei Facetten – die sonnenhafte und die mondhafte – übt seinen Einfluss auf den Menschen auf diese Weise, dass dieser entweder vorwärts strebt oder im Egoismus und ungezügelten Leidenschaften – sozusagen – zurückbleibt.

Die höchste kosmische Sphäre, die des Widders ist mit dem Prinzip des Christus verbunden. Unter diesem Sternenbild trat Christus bei der Taufe im Jordan in die Hüllen des Jesus von Nazareth ein. „An dem zweiten Tag stand Johannes wieder dort und zwei seiner Jünger waren bei ihm. Und als er Jesus vorübergehen sah, sprach er: Siehe, Gottes Lamm“ (Joh 1,35-36). Der Augenblick der Jordantaufe ist der einzige in der Geschichte der Erde, in dem sich die Trinität in den Tiefen des irdischen Seins zu erkennen gibt.

Zum Schluss noch eine Anmerkung: In dem Moment, in dem sich für einen Augenblick die Vatersphäre durch die Worte – „Dies ist mein vielgeliebter Sohn, heute habe ich ihn gezeugt“ – offenbart, bekommen wir eine Ahnung, eine Ankündigung, aber nicht mehr, von weiteren, unserer Imagination unzugänglichen Bereichen.

Als Postskriptum möchte ich kurz die seit langer Zeit nicht mehr anders als nur als Metapher in unserer Sprache existierenden Engelshierarchien ansprechen. Wir wissen von ihnen, wir kennen ihre Namen aus der Bibel, vor allem aus dem Alten Testament. Es war die Kindheit, als uns von diesen geheimnisvollen Geistern erzählt wurde. Mehr mit der Engellehre hat sich kaum jemand in unserer Generation befasst. Heute sind die Namen der Engel leere Hülsen, Worte für die die meisten Menschen keine Konnotation kennen. Gerade deshalb möchte ich an sie erinnern und Euch ermutigen, sich mit diesem Thema zu befassen.

* Sergej O. Prokofieff, „Die zwölf heiligen Nächte und die geistigen Hierarchien“, Philosophisch-Anthroposophischer Verlag am Goetheanum, 1986

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Therese

Autor: Therese

Ich wohne in Wiesbaden.

2 Gedanken zu „• Die heiligen zwölf Nächte“

  1. Brigitte
    sagt:
    Liebe Therese,

    ich habe gerade nochmals deinen Text zur Weihnacht gelesen und bin sehr ergriffen. Du schreibst so schön und so berührend. Aber nicht nur das, es ist sehr interessant, was Du schreibst und du bringst dieses Thema auf wunderbare Art nahe.

    Habe vielen Dank.

    1. Therese
      sagt:
      Liebe Brigitte,

      es hat mich besonders gefreut, zu sehen, dass du diesen Artikel gelesen hast. Ich selbst bin mit diesem Thema vor vielen Jahren in Berührung gekommen, nachdem ich „nur“ die Besonderheit dieser Tage Jahr für Jahr gespürt habe und nichts verstand. Die hier präsentierte Sichtweise macht das früher Erlebte oder Empfundene plastisch, mehrdimensional. Sie kann überzeugen und neue Horizonte öffnen – oder vielleicht nur gefallen…

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