Echo, die Nymphe des Berges Helikon, wollte als Dienerin der Hera ihre Herrin mit endlosem Geschwätz unterhalten, während Zeus mit den anderen Nymphen tändelte. Als die Göttin diese List bemerkte, bestrafte sie sie aus Ärger mit einer seltsamen Beschränkung der Sprache: Echo konnte kein Gespräch beginnen, sondern nur die Worte anderer wiederholen.
Verlacht, verließ sie die Welt der Menschen, um sich mit der Natur zu verbinden. Sie lebte seitdem in den Bergen, auf den Lichtungen des Waldes und an den Ufern der Flüsse. Eine unglückliche Nymphe, die jedoch gerade durch ihr Unglück an Anmut gewann und seitdem nicht nur in der Natur lebt: Sie wird von den Dichtern bewundert, wir begegnen ihr täglich in unserer Sprache – als Metapher.
„Die Dankbarkeit ist ein Geheimnis, nicht durch das Vergnügen, das sie beschert, sondern durch das Hindernis, das man durch sie überwindet.“
„Ermutigung zum unzeitgemäßen Leben“, André Comte-Sponville
Dankbarkeit ist ein Echo der Freude, sagt ein Dichter. Diese Tugend ist aber kein bloßes Echo, sie ist kein Automatismus. Sie ist die Antwort, die aus dem Herzen kommt, sie ist das Teilen der Freude und somit ist sie zugleich das Schenken. Ein Schenken der Freude, die man selbst empfindet. Geben und danken ist aber kein Tauschgeschäft, denn Dankbarkeit besitzt diese Fähigkeit, die empfundene Freude auf eine andere Ebene zu heben und somit sie in die Kraft zu verwandeln, weiter das Gute zu tun. Dankbarkeit ist affektiv, Dank ist aktiv, es ist eine Tat, sie ist kommunikativ. Vom Mensch zum Mensch. Dem Akt der Dankbarkeit geht notwendig jene Erkenntnis voraus, dass der Wohltäter die Ursache für unsere Freude ist.Es gibt bisweilen Situationen, dass diese hier gemeinte Freude nicht entstehen kann, denn an ihrer Stelle machen sich die Gewissheit und die Überzeugung breit, dass das Empfangen einer Gunst oder die Tatsache, beschenkt geworden zu sein, Selbstverständlichkeiten sind oder dass die Anderen stets darum bemüht sein müssen, einem irgendwelche Freuden zu bereiten oder gute Taten zu erweisen. Daraus kann freilich keine Dankbarkeit erwachsen, weil es auch keine echte Freude gibt, die diese generieren könnte. Der Egoist verschluckt die Freude, wie ein schwarzes Loch das Licht.
Wenn Hoffnung von Angst und Unsicherheit begleitet wird, so erwächst die Dankbarkeit nur aus Freude. Sie ist um so größer je mächtiger die Unsicherheit war. Um so leichter müsste sie auch einen adäquaten Ausdruck finden. Es ist nicht immer der Fall. Wenn Dankbarkeit sich nicht als Dank ausdrücken kann, hat das verschiedene Gründe. Der wichtigste Grund ist, dass in der Dankbarkeit ein Hauch Demut liegt. Diese erschwert so oft oder macht gar unmöglich den Akt des Dankens. Unnötig, denn es gibt nicht nur die Demut, die zugleich Erniedrigung ist; Demut ist gerade diese Tugend, die – paradox – die Unterwürfigkeit von der Souveränität scheidet! Dankbarkeit gepaart mit Unterwürfigkeit wäre eine schäbige Dankbarkeit, sie wäre ein verkappter Egoismus, verkapptes Erwarten weiterer Gunst: Man bedanke sich, um noch mehr bekommen! «Man sagt „Danke!“ und meint „Bitte!“ Das ist keine Dankbarkeit, das ist Schmeichelei, Kriecherei, Lüge. Das ist keine Tugend, sondern ein Laster», so Nicolas-Sébastien de Chamfort.
Dankbarkeit ist aber nicht bedingungslos: Sie darf den Menschen nicht auf Abwege führen! Und gerade das kann passieren, wenn man aus Dankbarkeit zum Beispiel falsches Zeugnis abgibt oder wenn sie zu Bestechlichkeit oder Gefälligkeit wird. Der Beschenkte ist nicht verpflichtet dazu, aus Dank zu handeln, wenn das gegen seine grundlegenden Prinzipien wäre.
Das Wechselspiel der Gefühle im Bezug auf Wohltat versus Dank kann jedoch tatsächlich dazu führen, dass ein Gefühl der Unterordnung entsteht, wenn der Beschenkte die Verpflichtung zur Dankbarkeit durch Annahme der Wohltat als Angriff auf seine Selbstachtung empfindet. Diese Einstellung zeugt eindeutig von Hochmut, auch wenn der Mensch meint, er sei nur zu stolz, um etwas anzunehmen. So wie der Hochmut die Fähigkeit zu nehmen zunichte macht, so hindert er den Menschen auch daran, an andere zu denken, für sie er etwas Gutes zu tun, das heißt, etwas zu geben.
Wenn es dem Menschen gelingt, das Gefühl der Dankbarkeit in seinem Inneren zu empfinden, es sich bewusst zu machen, daraus in weiterer Konsequenz auf der Ebene der Affekte die Sympathie oder Liebe zum Wohltäter zu entzünden und kraft der Gefühle jeglichen Stolz oder Beschämung wegen der Wohltat zu überwinden – dann hat er das Geheimnis der Dankbarkeit entschlüsselt!
Das Wissen um das Wesen dieser Tugend erweckt in uns – das ist die große Hoffnung – den Willen und gibt uns die Kraft, selbst nach Gelegenheiten, Gutes zu tun, Ausschau zu halten. Das Erinnern der erfahrenen Wohltat verwandelt sich in uns mit der Zeit in eine heilende Kraft, in einen immerwährenden Antrieb, schlechte Gefühle wie Zorn oder Neid in gute Emotionen zu erlösen. „Die dankbaren Menschen geben den anderen die Kraft zum Guten“, sagt Albert Schweitzer.
„Da Dankbarkeit nach meinem Dafürhalten die löblichste aller Tugenden ist, und das Gegenteil zu tadeln, habe ich, der nicht undankbar erscheinen möchte, mir vorgenommen, jetzt, wo ich mein Herz als frei betrachten kann, in jenem geringen Ausmaße, als ich es vermag, alles Empfangene zu vergelten“, so Giovanni Boccaccio im Vorwort zu „Decamerone“.
Es gibt weiter die Dankbarkeit dem Schöpfer gegenüber. Denn er ist die Ursache unserer Existenz, unseres Geschicks und jeder uns erwiesenen Gnade. Auch wenn das alles ausschließlich über andere Menschen den Weg zu uns finden kann! Denn Gott und seine Engel können nicht als Gespenster unter uns auf der Erde wandeln, um uns ihre Gunst zu erweisen. Sie tun es durch andere Menschen – und das ist das Schönste daran: Tief im Willen eines Menschen ist die Liebe Gottes zu uns verborgen. Wie soll man da nicht glücklich und dankbar sein?