• Causa Steinbach – Anmerkungen

Es geht hier um ein Problem, das ich eigentlich nie zum Thema eines meiner Aufsätze machen wollte. Da ich jedoch die Empfindlichkeiten beider Seiten in dem Konflikt um Erika Steinbach nicht nur gut verstehe, sondern auch lebhaft nachempfinden kann, will ich zu dem in letzter Zeit viel diskutierten Phänomen Erika Steinbach Stellung nehmen.

Ich muss hier vorausschicken, dass ich das schwere Schicksal des überfallenen und okkupierten Polens und der später aus Schlesien, Sudetenland, Pommern und Ostpreußen vertriebenen Deutschen in unmittelbarer historischer Nähe erlebt habe. Ich bin zwar schon nach dem Krieg geboren, die Kriegsereignisse und -erlebnisse waren aber allen noch frisch im Gedächtnis und die Erzählungen darüber ein ständiger Begleiter meiner Kindheit und Jugend sowohl in der Familie als auch in der Schule. Wenn man auch in den Staaten der sowjetischen Einflusszone über die Vertreibungen offiziell nicht viel gesprochen hatte, waren sie sicher ein Thema in den Familien, die mit diesen Ereignissen in Berührung kamen. Auch in meiner Familie, die vom Krieg und der Okkupation schwer betroffen war, ist eine Urgroßtante, eine österreichische Dichterin, eine alte Dame, im Zuge der Vertreibungen aus dem Sudetenland in einem Racheakt, ohne persönliche Schuld, brutal ermordet worden.

Es waren nicht nur zerstörte Biografien, nicht nur der individuelle und kollektive Verlust der materiellen und geistigen Güter: Eine der schlimmsten Folgen des von Hitler entfachten Krieges ist die Vernichtung der deutschsprachigen Kultur im Osten Europas. Kein Stein ist auf dem anderen geblieben… Was ist aus Czernowitz geworden? Wo sind die neuen Kafkas und Roths? Entweder nie geboren oder sie bereichern heute die amerikanische Kultur…

Gerade das historische Gedächtnis ist für mich Grund genug, durch Erika Steinbachs Treiben beunruhigt zu sein, denn sie tut mit ihren Aktivitäten keiner Seite einen Gefallen, den Deutschen aber am wenigsten.

Erika Steinbach ist eines gelungen: Sie hat den bösen Geist der Vergangenheit aus der Flasche befreit. Und keiner vermag ihn wieder in die Flasche zu zwingen. Dieser Geist steht für die Bereitschaft, für die Neigung sowohl in der Generation der Täter als auch in der unmittelbar nachfolgenden, schreckliche, beschämende, peinliche, den eigenen Wert und Wertgefühl mindernde Taten der Mitglieder der eigener Nation zu verdrängen, zu banalisieren, zu vergessen und im schlimmsten Fall der ehemaligen Gegenseite zuzuschieben, was aber bei der Gegenseite auf entschiedenen Widerstand stößt.

So ist es auch geschehen. Die dritte Generation der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg charakterisiert sich in Bezug auf die Verbrechen des Krieges durch eine illusionäre Vorstellung, die eigenen Großeltern waren entschiedene Nazigegner und haben die Verfluchten dieser Zeit geschützt und unterstützt. Diese Feststellung, sie ist keine bloße Behauptung, sie ist vor einigen Jahren in einer Rede vor dem geladenen Publikum im Hessischen Landtag von Salomon Korn, dem Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, gemacht worden. Er konnte sie mit statistischen Daten aus Befragungen und anderen Erhebungen stützen. Ein überaus interessantes Phänomen, diese Umdeutung! Und es verdient, dass energisch gegengesteuert wird.

Wer ist eigentlich Erika Steinbach als Politikerin? Sie ist erst verhältnismäßig spät politisch aktiv geworden; es war gar nicht ihr Wunsch, sich auf diesem Gebiet zu betätigen. Sie, musisch hochbegabt, sollte Geigerin werden. Eine Erkrankung verhinderte die Karriere…

Erst im Jahre 1998 hatte Frau Steinbach mit dem „Berliner Appell“ auf sich aufmerksam gemacht. Sie nannte für Polen und Tschechien bestimmte Voraussetzungen, deren Erfüllen sie als Bedingung für den Beitritt in die Europäischen Union verstand. Entschuldigung, Entschädigung der Vertriebenen und Rückkehrrecht, auch für die Nachkommen, in die einstige Heimat – das waren schon damals die Stichworte.

Bezeichnenderweise in der Zeit nach dem Kosovo-Krieg, als es im Südeuropa massenweise zu Vertreibungen kam, hatte Erika Steinbach das Thema aufgegriffen und in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 26. August 1999 die Regierungen der europäischen Staaten dazu aufgefordert, die Aufnahme Polens und Tschechiens davon abhängig zu machen, dass diese zuerst zur Heilung der Wunden, die durch das Verbrechen der Vertreibung geschlagen worden seien, einen Beitrag leisteten. Oft zitiert ist in diesem Kontext ihre Aussage, es liege im Interesse der Europäer die hohe Wertschätzung der Menschenrechte nicht durch Länder wie Polen und Tschechien entwerten zu lassen. „Es bedarf keiner Flugzeuge“, schrieb sie damals wörtlich, „ein schlichtes ‚Veto‘ zur Aufnahme der Uneinsichtigen ist ausreichend.“ 

Frau Steinbachs Äußerungen, die so mutig sind wie sie selbst ist und die sie in die Welt sendet, sind von der Art der „medialen Fakten“, die in der Lage sind, das Bewusstsein der Empfänger so zu beeinflussen wie die Tatsachen selbst. Diese so genannten medialen Fakten erfordern scharfe Aufmerksamkeit, denn es würde nicht lange dauern und diese Worte, dadurch dass sie sich ins Bewusstsein der Menschen festgraben, eine neue vergangene Realität schaffen würden. Es gilt, dies abzuwehren. Eine schwierige Sache, denn Frau Steinbach ist einerseits darauf bedacht, politisch korrekt zu sprechen, anderseits können ihre offenen Provokationen immer als ihre eigene Meinung gelten. Es lohnt sich, hier einige von ihren Äußerungen zu zitieren und auf gewisse Handlungen aufmerksam zu machen:

– „Polen fürchtet nicht die Umdeutung der Geschichte. Polen fürchtet die Wahrheit.“

– „Ein Opferverband hat nicht die Aufgabe, diplomatisch zu sein.“

– Auf die Anmerkung, dass das, was in Deutschland „Vertreibungen“ heißt, in Polen „Umsiedlungen“ heißt, antwortet sie am 5. September 2006 im DLF:  „Sie müssen davon sprechen, was ihr Wortschatz hergibt. (…) Wie die Polen es bezeichnen, ist letztlich unerheblich. Bei uns in Deutschland nennen wir es ‚Vertreibung‘ und unsere Sprache hat einen großen Wortschatz und ist sehr reichhaltig.“ Wie nennt man so etwas? Kulturrassismus?

– Polen sei ein „Vertreiberstaat“. Als solcher müsste es sich für die Vertreibungen entschuldigen, den Vertriebenen Rückkehrrecht  garantieren und/oder das im Osten verlorene Vermögen entschädigen. „Sie sollen sich ihrer Verantwortung stellen.“ Steinbach votiert im Jahr 1990 im Bundestag gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze.

– 2003 verklagt Steinbach exemplarisch Gabriele Lesser, eine freie Journalistin, wegen eines kritischen Kommentars, zu dem von Steinbach geplanten „Zentrum gegen Vertreibungen“ („Kieler Nachrichten“, 19. September 2003). Es waren viele deutsche Korrespondenten und auch einige Publizisten in Deutschland, die kritische Kommentare dazu schrieben, dennoch wurde nur Lesser mit einer durch Erika Steinbach angestrengten Klage konfrontiert. Den Streitwert hatten Steinbach und ihr Anwalt auf 60 000,- Euro beziffert! Man versuchte damit eine freie Journalistin, hinter der kein großes Verlagshaus stand, das die hohen Kosten eines Gerichtsverfahrens hätte tragen können, nicht nur einzuschüchtern, sondern auch wirtschaftlich zu vernichten.

– „Ohne Hitler, ohne den Nationalsozialismus hätten all die Wünsche, Deutsche zu vertreiben, die es in der Tschechoslowakei (…), die es in Polen schon davor gegeben hat, niemals umgesetzt werden können.“ (Zitiert nach FAZ, 4. März 2009 und DLF, 5. September 2006.)

– Die ursprüngliche Idee war, dass das geplante Zentrum gegen Vertreibungen als Pendant zum Holocaust-Mahnmal wahrgenommen werden sollte. Steinbach begründete es damit, dass in der ersten Phase des Krieges die Juden auch Vertreibungsopfer gewesen seien. So die „Leipziger Zeitung“ vom 29. Mai 2000: „Im Grunde genommen ergänzen sich diese Themen Juden und Vertriebene miteinander. Dieser entmenschte Rassenwahn hier wie dort, der soll auch Thema in unserem Zentrum sein.“ Das ist Revisionismus pur.

– Steinbach, geboren im Juli 1943 im okkupierten Polen als Tochter eines aus Westdeutschland stammenden Besatzungsunteroffiziers, noch dazu in einem Gebiet, aus dem zuvor die Polen von den Deutschen im Zuge der Neuordnung der unterworfenen Gebiete vertrieben wurden, versteht sich selbst als Vertriebene. Als diese Tatsache publik wird und Steinbach mit Fragen konfrontiert wird, ist ihre Antwort – ich gebe es frei wieder –, man müsse keine Robbe sein, um sich für Robben einzusetzen. Immerhin ein Fortschritt, denn bis dahin hat sie sich als Vertriebene ausgegeben…

Ihre Vertriebenenbiografie entsprang also eher der Dichtung als der Wahrheit… Es sind gerade die Lügen und Halbwahrheiten, die so viel Widerstand in Polen hervorrufen. Dass ihre Aussagen zwingend polnische Reaktionen provozieren, nimmt Steinbach bewusst und wollend in Kauf. Sie geht auf Konfrontation, aber die provozierten scharfen Reaktionen der polnischen Seite bezeichnet sie dann als Aggression und Hysterie.

Damit ist die jahrzehntelang erfolgreich betriebene „Versöhnungsarbeit“ zunichte gemacht und alte Wunden sind aufgerissen worden, eine Menge Misstrauen ist entstanden. Die bewundernswerte, vom Mitgefühl getragene Hilfe, die die Deutschen den Polen in der Zeit des Kriegszustandes in den 80er Jahren angedeihen ließen, die einen wirklichen Durchbruch in der polnischen Wahrnehmung der Deutschen bewirkt hatte, verliert jetzt ihren Stellenwert, denn die Erscheinung Erika Steinbach und die Wirkung ihrer Worte hat zur Zeit die Kraft, das Gute aus dem Gedächtnis zu tilgen. Das Vertrauen ist sowohl im polnischen Volk als auch unter den Intellektuellen im hohen Masse zerstört.

Von Sympathisanten Frau Steinbach wird dieser Konflikt als Zeichen der polnischer Überempfindlichkeit abgetan.

Noch eimal die Worte: „Ohne Hitler, ohne den Nationalsozialismus hätten all die Wünsche, Deutsche zu vertreiben, die es in der Tschechoslowakei (…), die es in Polen schon davor gegeben hat, niemals umgesetzt werden können.“ Diese Worte werden in der FAZ vom 4. März 2009, in dem Artikel „Anerkennung und Verzicht“ ungewöhnlich milde kritisiert: „Das war politisch nicht ganz korrekt, um es vorsichtig (Hervorhebung von mir) zu sagen. Frau Steinbach leistet sich eine eigene Geschichtsbetrachtung jenseits des hierzulande Üblichen.“ Warum bleibt die Redaktion eigentlich so vorsichtig? Warum findet der Autor keine nachdrücklichen Worte? Gut, dass die FAZ es doch von lauter Bewunderung für Erika Steinbach nicht vergessen hat, sich von ihren kruden Ansichten zu distanzieren.

Eine Distanzierung, auch wenn sie hier sehr, sehr blass daher kommt, ist ausschließlich in der Politik ausreichend. In der Geschichtswissenschaft genügt sie nicht, denn solche leisen Worte können nicht adäquat einem medialen Faktum entgegentreten. Die Intention, die Geschichte umzuschreiben und die Deutschen zu den Opfern einer von langer Hand geplanten Aggression zu stilisieren, könnte sich verwirklichen.

„Polen sehe sich als Opferstaat“, so Steinbach. „Für das Land sei es nun schmerzlich, erkennen zu müssen, dass man auch Verantwortung für das Leid von Millionen Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg trage“, schreibt weiter FAZ. Über die Debatten in den polnischen Medien müssten sowohl die großen Zeitungen als auch Frau Steinbach eigentlich informiert sein… Aber es findet sich in der deutschen Presse kein Wort darüber. Auch das Verschweigen einer Tatsache in den Medien ist ein mediales Faktum

In dem ganzen Treiben Frau Steinbach bleibt für mich eine wichtige Frage offen: Warum sie, so mutig wie sie ist, es nicht gewagt hat, sich mit der russischen Regierung anzulegen und Entschädigung oder anders geartete Verantwortung für die Leiden der Enteigneten, Vertriebenen, Vergewaltigten und Entrechteten zu fordern? Ist es einfacher und ungefährlicher mit Polen solches Spiel zu treiben? Das alles zeigt, dass es dieser Frau im Grunde nicht um die Vertriebenen geht, sondern darum, in Berlin politische Spur zu hinterlassen. Die Kosten dieser Kampagne, die sie schon seit über elf Jahren veranstaltet, sind ihr dann egal.

Es ist ein besonderes Schicksal, als begabte Geigerin durch eine Krankheit verhindert worden zu sein und letztendlich in einem, harten, unwürdigen aber präzise durchgeführten Kampf, die Erfüllung gefunden zu haben. In ihrem zweiten Beruf zeigt sich Steinbach nicht minder begabt, eine echte Virtuosin. Nur… Da war das Schicksal weise: Wie wäre es sonst möglich gewesen, dass eine Frau, mit dieser Begabung für Propaganda, Verdrehung und mit der Neigung zur Lügenhaftigkeit, auch nur annähernd die große, von einem ganz anderen Geist geschaffene Musik, eine Kunst, die keine seelische Niedertracht verträgt, den Menschen hätte schenken können?

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Therese

Autor: Therese

Ich wohne in Wiesbaden.