• Frauen in der bildenden Kunst

»Malen ist für mich so notwendig wie atmen« – Berthe Morisot, französische Impressionistin.

Berthw Morisot

Plinius der Ältere erwähnt in einem Kapitel  seines Werkes Naturalis historia mehrere berühmte Malerinnen des antiken Griechenlands, die er für Werke lobt, die leider nicht erhalten geblieben sind. Spätere Zeiten sind für uns gnädiger: Was für ein Genuss, über die Jahrhunderte der Kunst zu wandern!

Anna Bilińska-Bohdanowiczowa; Nad brzegiem morza; 1886

In längst vergangenen Epochen waren es nur weibliche Ausnahmetalente, die eine gewisse Bekanntheit erlangen konnten und zwar nur dann, wenn die Umstände überaus günstig waren. In der Antike und in den späteren Epochen – mit der Ausnahme des Mittelalters – waren es vorwiegend die Töchter von Malern, die ihr Talent entwickeln konnten, weil sie die Möglichkeit hatten, die Kunst und das Handwerk in den Werkstätten der Väter zu erlernen und zu verfeinern. Im Mittelalter konnten die talentierten Frauen nur als anonyme Künstlerinnen in Klöstern die Miniaturen für Bücher anfertigen und somit ihre Berufung als Malerinen ausleben. Die andere Form des künstlerischen Ausdrucks der Frauen, die Tapisserie, stellte zu damaliger Zeit übrigens kein autonomes Kunstwerk dar. 

Es mussten Jahrhunderte vergehen, in der bildenden Kunst musste die Renaissance die Gotik ablösen, damit neue Schulen entstehen konnten. Themen aus der Mythologie und aus der Bibel fanden zunehmend Eingang in die bildende Kunst, auch  Portraitmalerei wurde beliebt: Die naturalistischen Bilder dieser Zeit zeigen erste Versuche psychologischer Interpretation. Indes war es nicht nur der männliche Chauvinismus, die Frauen von der Malerei fernzuhalten. In den Malerwerkstätten des 16. und 17. Jahrhunderts, wo die Adepten der Kunst nicht nur gearbeitet, sondern auch gelebt hatten, war es ausgeschlossen, dass auch junge Frauen eine solche Ausbildung absolvieren konnten. Kein Vater hätte seine Tochter in eine ähnliche Ausbildung gegeben; auch war es in der damaligen Gesellschaft nicht vorgesehen, als Frau Künstlerin zu werden und als solche tätig zu sein. 

Angelika Kauffmann

In der Renaissance und der  Barockzeit waren es nur wenige Malerinnen, die ihren Lebensunterhalt durch ihre künstlerische Tätigkeit bestreiten konnten. Für diejenigen, denen es gelungen war, bedeutete es, dass sie die größte Anzahl ihrer Bilder auf Bestellung gemalt hatten. Wie damals üblich, waren die Auftraggeber der Künstler und Künstlerinnen Könige und Adelige. Das heißt, eine Malerin  lebte und arbeitete auf dem Hof. Es wird dadurch auch verständlich, warum die meisten Werke Portraits und Gruppenszenen sind. Die erste Alltagsszene übrigens, die in dieser Zeit gemalt worden ist – „Drei Schwestern beim Schachspiel“ ist ein Werk der Sofonisba Anguissola (1531-1625), der erfolgreichsten Malerin ihrer Epoche. Sofonisba lebte viele Jahre auf dem spanischen Hof und malte sowohl die Mitglieder der königlichen Familie, als auch Adelige, die sich dort aufgehalten hatten. 

Auch Artemisia Gentileschi (1593-1653) war die Tochter eines Malers. Sie erhielt in seiner Werkstatt die Ausbildung und wurde eine der besten Malerinnen der Epoche. Ungewöhnlich an Artemisia ist, dass sie sich nicht auf die damaligen frauentypischen Sujets beschränkte, sondern auch großformatige Historienbilder sowie mythologische und biblische Themen malte. Als eine der wenigen Malerinnen wagte sie es, den nackten weiblichen Körper darzustellen. Artemisia war in ihrer Zeit berühmt, geriet aber nach ihrem Tod in Vergessenheit. Erst in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde man wieder auf sie aufmerksam. In der Zeit also, in der Frauen selbst intensiver und gezielter über Künstlerinnen zu forschen begannen. 

Berthe Morisot

Fast 200 Jahre früher wirkte Angelica Kauffmann (1741-1807). Sie war ebenfalls Tochter eines Portrait- und Freskenmalers. Da es damals für Mädchen keine reguläre Schulbildung gab, war es der Vater der das kleine Wunderkind unterrichtete. In kurzer Zeit aber begann das Mädchen seinen Vater zu überragen. Schon sehr früh wurde sie berühmt und bekam Aufträge: Auch sie malte überwiegend Portraits. Porträtieren war die Domäne der Künstlerinnen. Später ging Kauffmann zu einer anderen Themenwelt, dem Klassizismus über, womit sie den Geschmack des Publikums traf und mit dem Zeitgeist konform ging. 

Genau hundert Jahre nach Angelika Kauffmann lebte und wirkte Berthe Morisot (1841-1895). Sie und ihre Schwester Edma, die ein starkes Interesse an Malkunst entwickelten, erhielten Kunstunterricht, der weit über das hinaus ging, was Töchter aus einer angesehenen Familie sonst erhalten hatten. Der künftige Lehrer schrieb eine Warnung an die Mutter: „Mit Veranlagungen, wie Ihre Töchter sie aufweisen, (…) werden sie Malerinnen werden. Wissen Sie was das heisst? In ihrer Position als Glieder der oberen Mittelschicht bedeutet dies eine Revolution, beinahe möchte ich sagen: eine Katastrophe.“

Olga Boznańska

Edma gibt nach ihrer Heirat das Malen auf, Berthe fällt es in dieser Zeit besonders schwer, ihre künstlerischen Interessen und ihr Wirken als unverheiratete Frau ohne die Gesellschaft der Schwester fortzusetzen. „Eine Frau, die sich solchermaßen emanzipiert, die junge, hübsche Frau, versteht sich, auf die wird mit dem Finger gezeigt: Sie wird zur Einzelgängerin, beobachtet, getadelt und für verrückt erklärt und folglich ist sie noch unfreier…“, kommentiert die russische Malerin Marie Bashkirtseff die Situation der Künstlerinnen in der Gesellschaft.

Berthe schließt sich den Künstlern der neuen Bewegung, den Impressionisten, an. Als einzige Frau beteiligt sie sich an der ersten, von der akademischen Doktrin unabhängigen, Ausstellung. Und als Einzige hat sie mit ihren Bildern großen Erfolg: Ihr Thema ist das bürgerliche Familienleben, die Bilder sind anmutig und zart. So spricht sie über die Kunst von Frauen: „Unsere Werte liegen wirklich im Gefühl, in der Einfühlsamkeit, in einer Vision, die subtiler ist als die der Männer und wir können viel erreichen, wenn wir sie nicht durch Affektiertheit, Pedanterie und Sentimentalität verderben.“

Und doch ist Berthe Morisot, eine Impressionistin der ersten Stunde, so wie die Malerinnen der früheren Jahrhunderte nur marginal in die Kunstgeschichtsschreibung eingegangen. Dass es nicht an der Qualität liegen kann, ist klar. Die weiblichen Erfahrungen, die selbstredend in die Kunst hineingetragen worden sind, führten oft zu der abwertenden Bezeichnung „Frauenkunst“, wogegen die von Männern favorisierte Themen und Perspektiven als universell relevant akzeptiert worden sind. Für die Künstlerinnen scheint es notwendig zu sein, sich an gesellschaftliche Erwartungen anzupassen, um sich als Frau in der Kunstwelt durchzusetzen. 

Diese Feststellung hat wohl nichts an ihrer Aktualität verloren…

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• Über die Malerei…

„Allein hätte ich nicht die Welt durch Antizipation bereits in mir getragen, ich wäre mit sehenden Augen blind geblieben, und alle Erforschung und Erfahrung wäre nichts gewesen als ein ganz totes vergebliches Bemühen. Das Licht ist da, und die Farben umgeben uns; allein trügen wir kein Licht und keine Farben im eigenen Auge, so würden wir auch außer uns dergleichen nicht wahrnehmen.“ – Johann Peter Eckerman: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens

„Wär‘ nicht das Auge sonnenhaft,
Wie könnt‘ die Sonne es erblicken?“ –Johann Wolfgang Goethe

Selten gibt es in einem Satz so viel Weisheit über den Menschen und über die Welt, in der er lebt. Diese Erkenntnis erfasst eigentlich alle Lebens- und Wissensgebiete, in der Kunst ist sie jedoch am ehesten nachvollziehbar. Das Wissen davon, dass jeder Mensch die Weisheit von der Welt in seiner Seele trägt, verpflichtet den ambitionierten Betrachter, gezielt Wahrnehmungen mit Reflexionen zu begleiten. Die Summe dieser Reflexionen ergibt in Laufe der Jahre das, was wir Erfahrung nennen. Es ist so, dass kein Mensch alle Erfahrungen der Welt selbst leben kann. Nicht jeder wird vielen Menschen begegnen, nicht jeder wird die Mannigfaltigkeit der Welt mit eigenen Augen betrachten können. Ein extremes Beispiel eines Menschen, der ohne in die weite Welt hinaus zu gehen, sie kennt und versteht: Der Säulenheilige besitzt diese Weisheit von der Welt allein aus sich heraus  und von seinem mystischen Erleben der Schöpfung.

Wir, vielfältig in den Alltag eingebunden, befangen in unseren Emotionen, fühlen uns doch die meiste Zeit von der höheren Erkenntnis abgeschnitten. Die Begegnung mit der Kunst, ob Musik, ob Malerei, ob Literatur oder Film versetzt unsere müde Seele in andere Gefilde. Ich wage zu sagen, dass auch die Momente der Begegnung mit der Kunst zu diesen zählen, für die es sich überhaupt lohnt zu leben… Das im Irdischen Verhaftetsein, ob es sich um Erziehung der Kinder, oder Dienst am anderen Menschen, oder bloße Existenzsicherung handelt, ist für normale Sterbliche unabdingbar. Die Voraussetzung für weitere Entwicklungen, die uns die Kunst ermöglicht, müssen wir trotzdem schaffen… Muße gehört dazu… Muße für Begegnung mit der Natur und mit der Kunst. Das Vergessen des Alltags…

Wertvolle Kunst, also weit vom Kitsch entfernt, versetzt uns in die Lage, ohne in die weite Welt zu gehen, unzählige Erfahrungen zu machen. Dank dem Genius des Künstlers ist es uns gegeben. Natürlich wäre es bereichernd, um ein Beispiel zu nehmen, auf hoher See, getragen von starken Wellen den eigenen Emotionen zu begegnen – Angst, Lust… Beim Betrachten eines Bildes, das gerade solche Szene darstellt, mit einem geringem Aufwand an Phantasie erleben wir, wenn nicht ganz das Gleiche wie in der Realität, dann wenigstens einen wertvollen Abglanz solcher Erfahrung.

Wenn wir – nehmen wir als Beispiel – „Die Seerosen“ von Claude Monet betrachten, sehen wir, wie mit wenigen Farbstrichen Licht auf die Leinwand gebannt worden ist. Die Lichtreflexe, die eigentlich Farbreflexe sind, ergeben beim Betrachten eine Form. Das war übrigens das Neue, was uns die impressionistischen Maler gegeben haben. Durch das Prisma dieser Kunst ist unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit mehrdimensional geworden: Wir betrachten nicht nur das Bild selbst, die Wirklichkeit dahinter, wir erleben durch die neue Maltechnik auch das, was sich zwischen dem schauendem Auge und dem Kunstwerk abspielt. Dabei gewinnt das Betrachten eines impressionistischen Bildes an Bedeutung, weil durch das momentane Aussetzen der „Durchsichtigkeit“ des Kunstwerkes die eigene Wahrnehmung reflektiert werden kann.

Die Künstler öffnen uns Welten, die im Alltag unzugänglich sind oder lediglich im Rahmen der Wissenschaft bekannt sind. Wie genial muss ein Künstler sein, der in den Sternen die Sonnen sieht! Die bekannten Nachtbilder von Vincent van Gogh gehören bezeichnenderweise zu den Beliebtesten, wenn man es an der Anzahl der Reproduktionen messen sollte.

Die heute durch die Drucktechnik mögliche Verbreitung der Kunst weckt andererseits auch unsere Sehnsucht nach der Wahrheit, die uns ohne die Vermittlung des Künstlers nicht zugänglich ist.

Zurück zum Goethe: In wenigen Worten erschließt er uns die Erkenntnis, dass die Weisheit von der Welt, von der Natur, Weisheit, die wir in uns tragen aus den Tiefen unserer Seele hervorgehoben werden muss, um in unser Bewusstsein zu gelangen.

Die Kunst ist ein hervorragender Mittler zwischen der Welt, der Natur, der Gesellschaft und dem Menschen.

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